FLAME-Professor Molina-Luna erhält 150.000 Euro vom Europäischen Forschungsrat

Werkzeugkasten für Mikroskopdaten-Analyse

28.04.2020

FLAME-Professor Leopoldo Molina-Luna neben dem Focused-Ion-Beam-Mikroskop. Bild: Katrin Binner

Zwei Wissenschaftler der TU Darmstadt sind vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem „Proof of Concept”-Grant in Höhe von 150.000 Euro ausgezeichnet worden. FLAME-Professor Leopoldo Molina-Luna und Professor Heinz Koeppl. Molina-Luna erhält den Preis für sein Projekt „STARE“.

„STARE“ zielt darauf, ein umfassendes Software-Toolkit zu entwickeln, das alle erforderlichen Verfahren für eine benutzerfreundliche Analyse von Transmissionselektronenmikroskopie-Daten in Echtzeit und während laufender Experimente enthält. Die Idee zu „STARE" entstammt einem laufenden ERC-Grant-Projekt von Molina-Luna.

Herr Professor Molina-Luna, der Europäische Forschungsrat ERC hat entschieden, Ihr Proof-of-Concept-Projekt „STARE – Machine learning based Software Toolkit for Automated identification in atomic-resolution operando nanoscopy“ mit 150.000 Euro zu fördern. Worum geht es inhaltlich bei dem Projekt? Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz?

Die Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) ist eine grundlegende Technologie aufgrund ihrer unübertroffenen Fähigkeit, Materie auf Sub-Nanometer-Längenskalen abzubilden und zu charakterisieren. Die TEM hat erhebliche Auswirkungen auf verschiedene Industriesegmente, einschließlich Elektronik und Halbleiter sowie metallurgische Legierungen, polymere, medizinische und biologische Systeme. In den jetzigen Zeiten spielt zum Beispiel die Cryo-TEM eine wesentliche Rolle in der Strukturaufklärung des Corona-Virus. Die TEM ermöglicht kontinuierliche Fortschritte bei der Entwicklung verbesserter, fortschrittlicher Materialien und erschließt komplexe Beziehungen zwischen Struktur und Eigenschaft.

Heutzutage gibt es einen starken, nicht gedeckten Bedarf an der Entwicklung von Echtzeittechnik, automatisierten Identifizierungsalgorithmen im TEM zur Analyse von Atomstruktur, Phasen und Defekten. Zum Beispiel spielt das TEM eine wichtige Rolle bei der grundlegenden Stärkung von Materialien durch die Aufklärung der Funktion von Versetzungen. Gewöhnlich ist es nicht trivial, aus den digitalen Rohdaten der TEM-Ausgabe aussagekräftige wissenschaftliche Informationen zu erhalten oder zu extrahieren. Es erfordert eine langwierige Signalverarbeitungsroutine und das Materialverständnis und Fachwissen eines erfahrenen Mikroskopikers.

Dank der schnellen Entwicklung von Informationstechnologie und Informatik werden automatisierte computergestützte Analysen von elektronenmikroskopischen Bildern beziehungsweise Daten Realität. In den letzten zehn Jahren wurden verschiedene Werkzeuge entwickelt und auf die digitale Datenanalyse angewandt. In der Zwischenzeit hat die rasante Entwicklung der Mikroskopie zu neuartigen Techniken und Instrumentierung geführt, zum Beispiel zu in situ/operando TEM und pixilierten Detektortechniken, die eine große Fähigkeit zur Datenausführung und -analyse erfordern. Während bestehende Lösungen von der manuellen Analyse zu Softwarelösungen zeitaufwendig sind, verwenden nur wenige von ihnen maschinelles Lernen oder anders ausgedrückt, Bildmerkmal-Paarung.

FLAME-Professor Leopoldo Molina-Luna. Bild: Alexander Zintler
FLAME-Professor Leopoldo Molina-Luna. Bild: Alexander Zintler

Proof-of-Concept-Projekte sollen dazu beitragen, ein Forschungsergebnis aus einem ERC Grant-Projekt in die Praxis zu tragen. Welche Bedeutung hat Ihr ERC-Grant-Projekt FOXON, aus dem sich nun STARE entwickelt?

Um die Leistung der Funktionsmaterialien zu geringeren Kosten zu verbessern, wird erwartet, dass TEM große Datenmengen in einer kürzeren Zeit analysiert. Sie stützt sich auf den Einsatz von Hochleistungsrechnern. Es wird erwartet, dass sich dieser Trend fortsetzen wird, da alle aktuellen und kurzfristigen Rechenansätze integrierte Multimaterialsysteme mit vielfältigen materiellen Anforderungen benötigen, die über den Entwurf reiner Rechenfunktionalität hinausgehen.

Aus einer technischen Perspektive hat TEM in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, ein wesentlicher Engpass bei der Durchdringung der TEM in der Routinepraxis ist immer noch nicht behoben, was sich in einem Mangel an Mitteln zur effizienten Analyse äußert. Die Analyse großer Datensätze (big data) wird in verschiedenen Bereichen wie den Materialwissenschaften und dem Ingenieurwesen immer wichtiger. Das Ziel von FOXON ist es, eine Echtzeitanalyse von multidimensionalen Daten während der Durchführung eines Experiments zu erzeugen.

Worin liegen die Chancen Ihrer Forschung, die nun mit dem Projekt STARE Richtung Marktreife entwickelt werden soll? Was für konkrete Anwendungsmöglichkeiten sehen Sie mittel- oder langfristig?

Das vorgeschlagene, zu entwickelnde Software-Toolkit unterscheidet sich in den folgenden Aspekten von anderen vorhandenen Paketen. Erstens basiert dieses Toolkit nicht auf einer „Black Box“, sondern vielmehr auf einer Open-source-Python-Umgebung. Zweitens wird es alle erforderlichen Analyseverfahren, einschließlich Rauschunterdrückung, Datenfilterung, Anpassung und Positionidentifizierung enthalten. Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal unserer Softwareidee ist die Tatsache, dass wir ein umfassendes Framework erstellt haben, um ein Echtzeit-Feedback vom Experiment zu erhalten. Im Gegensatz zu anderen, kommerziellen Softwarelösungen streben wir ein Modul an, das in bestehende Systeme integriert werden kann.

STARE steht für ein Ende-zu-Ende-TEM-Bildanalyse-Framework, das Echtzeit-Feedback zum Experiment bietet. Darüber hinaus ist eines der Ziele von STARE, die Benutzeroberfläche der Software zu verbessern und sie auch für Nichtexperten zugänglicher zu machen. Es besteht seit Kurzem auch eine sehr spannende und vielversprechende Kooperation mit der TU-Informatik um die Gruppe von Professor Kristian Kersting (Fachgebiet Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen, Fachbereich Informatik), von der wir echte Experten-Unterstützung bei der Entwicklung unserer Idee erhalten. Außerdem pflegen wir die Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie.

Leopoldo Molina-Luna ist Assistenzprofessor für Elektronenmikroskopie im Bereich Materialwissenschaften, Fachbereich Material- und Geowissenschaften der TU Darmstadt. Nach seiner Promotion im Fach Physik an der Eberhard Karls Universität Tübingen war er Postdoc an einem der weltweit führenden Zentren für Elektronenmikroskopie, dem EMAT in Antwerpen. Sein Postdoc-Fellowship an der Universität Antwerpen wurde durch einen ERC Advanced Grant gefördert. Molina-Luna wird seit 2018 mit einem ERC Starting Grant für sein Projekt „FOXON – Functionality of Oxide based devices under Electric-field: Towards Atomic-resolution Operando Nanoscopy“ mit rund 1,8 Millionen Euro gefördert.

Proof of Concept ist ein ergänzender Grant zu den Forschungsgrants des ERC. Er richtet sich ausschließlich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die bereits einen ERC Grant innehaben und ein Forschungsergebnis aus ihrem laufenden oder bereits abgeschlossenen Projekt vorkommerziell verwerten möchten. Dies ist der erste Schritt zum Technologie-Transfer. Ziel eines Proof-of-Concept-Projektes soll es sein, das Marktpotential einer solchen Idee zu überprüfen. Der ERC finanziert hiermit also keine Forschungsaktivitäten, sondern Maßnahmen zur Weiterentwicklung im Hinblick auf die Anwendungsreife, Kommerzialisierung oder Vermarktung der Idee. In der jüngsten Förderrunde wurden 55 Forscherinnen und Forscher aus 17 Ländern mit einem ERC Proof of Concept grant ausgezeichnet. Die Grants sind Teil des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der EU.

Die Fragen stellte Silke Paradowski.